Der neue Investor lud alle Heimleiter, Pflegedienstleiter und Mitarbeiter der Unternehmenszentrale zur „Kennenlern-Tagung“ ein. Es war nicht so wie bei den Firmenübernahmen, die ich in den Jahren vorher erlebt hatte. Diese fand bei schönem Ambiente in einem Schloss inmitten Deutschlands statt. Es war ein großer Festsaal gebucht, in dem zehn große Tische standen, an denen jeweils zehn Mitarbeiter Platz fanden. Es war mit Tischdecken und Blumenschmuck dekoriert wie bei einer festlichen Hochzeit.
Der Investor, welcher das Unternehmen des Betreiberehepaares aufkaufte, war nicht wirklich ein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine Gruppe Geldgeber.
Diese Firma kaufte hier in Deutschland jedes Jahr zwei bis drei Unternehmen ein. Im Normalfall behielten diese ihre Geschäftsführer noch eine Weile, damit diese Aufkäufe problemlos ohne große Veränderungskrise bei den Mitarbeitern über die Bühne ging.
Alle Führungskräfte unseres Unternehmens reisten also an und betraten diesen Saal. Der Deutschlandchef dieses Konzerns begrüßte uns im Eingangsbereich. Umringt war er von sieben Geschäftsführern kleinerer aufgekaufter Unternehmen, welche er als Verstärkung mitgebracht hatte. Darunter befand sich wieder einmal keine Frau. Das erinnerte mich an mein erstes Erlebnis dieser Art. Ähnlich wie damals, stand dort eine Meute schwanzwedelnder Jagdhunde um den Rudelführer herum. Dieser war ein Dachs im Dalmatinerkostüm. Jeder dieser Geschäftsführer setzte sich an einen Tisch, sodass die Mitarbeiter einen Ansprechpartner hatten und unter Kontrolle waren.
Das Betreiberehepaar, unsere scheidenden Arbeitgeber, waren natürlich auch vor Ort. Die Stimmung im Saal war bedrückt. Man hätte uns auch zur Schlachtbank führen können.
Wir vom ZQM setzten uns an einen Tisch, der noch frei war, denn wir hatten keine Lust. uns zu irgendeinem Geschäftsführer zu setzen. Ich wollte auch mal sehen, wer sich zu wem setzt. Natürlich kamen die Heimleitungen, welche ich zurzeit intensiv coachte an unsere Seite und machten ihrem Unmut hinter vorgehaltener Hand Luft.
Ich habe mir dieses perfekt inszenierte Szenario betrachtet und konnte erkennen, dass diese Geschäftsführer an strategisch wichtigen Punkten saßen.
Vorne stand eine Bühne für „die Alleinunterhalter“. Als wir dann alle saßen begrüßte uns unsere Chefin. Sie war sehr angespannt. Hut ab, sie hat es trotzdem geschafft uns alle zu begrüßen und ihre Rede herunter zu spulen. Sie war fix und fertig. Unser alter Chef saß an einem Tisch etwas rechts von mir und ich konnte sehen, dass er am liebsten in die Tischkante gebissen hätte. Ich hatte keine Ahnung warum. Er hatte während dieser ganzen Veranstaltung kein Wort gesagt. Sie musste vorne reden und die Form wahren.
Ich war wieder in dieser entsetzlichen Rolle innerlich zu wissen, dass die Katastrophe auf uns zu rollte und nach außen hin sagen zu müssen, alles wird gut. Und dann habe ich tief durchgeatmet und gedacht: Ach herrje, du kennst diesen ganzen Mist schon, dann suchst du dir halt was Neues.
Dann begann das Programm. Der Deutschlandchef dieses Unternehmens, ein Mann um die 50 Jahre alt, 1,90 m groß, schlank, volksnah in Jeans gekleidet, fing vorne an die Mitarbeiter um den Finger zu wickeln. Beziehungsweise er versuchte es so gut er konnte.
Die alten Hasen die da auf den Stühlen vor ihm saßen, waren natürlich nicht so leicht um den Finger zu wickeln. Er sprach mit Engelszungen davon, dass man Synergien erzeugen könne, dass alles leichter werden würde, dass die Geschäftsführer noch im Unternehmen bleiben würden, kein einziger Mitarbeiter würde entlassen. Er ließ einzelne Geschäftsführer aufstehen und die versichern, dass das der Wahrheit entspräche und dass sie alle ganz glücklich wären mit dieser neuen Konstellation. Ein anderer Geschäftsführer sagte, er hätte sich das auch nicht vorstellen können, aber es wäre alles so toll. Diese Männer, welche dort aufstanden, waren alle zwischen 40 und 50 und perfekt dressiert. Sie lieferten ab.
Da sie quasi an jedem Tisch als Aufpasser saßen, wurde auch kein Unmut geäußert. Der geneigte Leser kann sich vorstellen, welcher Gesang leider nur vor meinem inneren Auge ablief: „geh doch zu Hause, du alte Sch...“.
Von wegen, ganz im Gegenteil. Alle saßen still und vorne auf der Bühne ging die Musik ab. Dort war eine riesige Leinwand angebracht. Sie war 7 m breit und 5 m hoch. Auf dieser lief auf Knopfdruck ein Imagefilm dieses Unternehmens ab.
Sanfte Musik, Blümchen, fröhlich lachende Senioren auf Parkbänken, nochmal Blümchen, lecker aufgebaute Büfetts und dann, ich konnte es kaum glauben, ca. 70 Pflegekräfte in blütenweißer Berufskleidung. Diese waren zum Ballett formiert und führten zu den Klängen von "Oh Happy Day" einen Synchrontanz vor.
Weit gefehlt! Der Deutschlandchef dieser Investorengruppe erklärte, dass sie den Wettbewerb „Best place to work“ gewonnen hätten. Auf Deutsch, „der beste Platz zum Arbeiten“ Wettbewerb. Die Mitarbeiter hätten sich so gefreut, dass sie ganz spontan diesen Tanz aufgeführt hätten.
Ach herrje das war ja ein dolles Ding. Wenn das nur nicht so traurig wäre, könnte man sich schlapplachen. Spätestens jetzt war allen Anwesenden klar, dass diese Veranstaltung ein furchtbarer Fake war. Es wurde natürlich noch mehrmals gesagt, nichts verändere sich, niemand wird entlassen, alles bleibt wie es ist. Dann wurde an das wirklich üppige Büfett geladen. Und die Veranstaltung war zu Ende.
Natürlich entsprach nichts der Wirklichkeit. Drei Monate hörten und sahen wir nichts mehr von diesem Investor, bis der Verkauf rechtlich über die Bühne gegangen war. Danach dauerte das genau einen Tag, dann waren die Einrichtungen in andere Unternehmensbereiche aufgeteilt worden. Am nächsten Tag wurden alle Mitarbeiter der Zentrale entlassen. Von den Geschäftsführern war weit und breit auch nichts mehr zu sehen. Alles Lug und Trug.
Mr. T
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