Die blutige Schlachtung des goldenen Kalbes Anno 2009

Ach herrje, eine Firmenübernahme.

Das hatte ich noch nicht erlebt, jetzt passierte etwas, was ich so noch nicht kannte. Langsam sickerte im Unternehmen durch, dass unser Geschäftsführer neue Investoren gesucht hatte und dieses Unternehmen jetzt an einen ausländischen Investor verkauft war.

Das Unternehmen in dem ich einen Zweijahresvertrag hatte und schon über ein Jahr beschäftigt war, war also klammheimlich an einen neuen Besitzer verkauft worden. Diese Firmenübernahme tätigte ein Investor aus dem Ausland mit sehr viel Geld.

Anfangs merkte man gar nicht, dass sich etwas verändert hatte, doch dann wurde die jährliche Heimleiter-Tagung anberaumt und alle Einrichtungsleiter und Pflegedienstleiter in den Saal eines großen Hotels eingeladen.

Alle saßen in Reih und Glied vor einem Podium. Ganz vorne saßen die Kollegen aus der Zentrale. In der ersten Reihe die operative Managementdame, die Dame mit dem markanten Gesicht, die Quali-Täterin, die Geschäftsführer, die Personalabteilung, die Rechtsabteilung, die IT-Abteilung und sämtliche Sekretärinnen. Ich setzte mich in die Mitte des Raumes, um von dort aus alle besser beobachten zu können.

Welche Umstände dazu führen, dass ein Altenpflegeheimbetreiber neue Investoren sucht, sind in so einem Moment völlig irrelevant. Ob er neue Häuser eingekauft und sich dabei verhoben hat, oder ob er neue Häuser kaufen will und dafür frisches Geld braucht. Ob das Eigenkapital/Fremdkapital Verhältnis nicht mehr stimmt, oder jemanden der Größenwahn gepackt hat, alles irrelevant. Da sitzen ca. 100 Menschen, die 80 % ihrer wachen Tageszeit für diese Firma da sind und schauen gespannt und etwas ängstlich auf ein Podium.

Der neue Besitzer stellte sich also vor.

Es war ein schmucker Mittfünfziger, der mit seiner Mannschaft von sieben Männern auf dem Podium saß. Ganz merkwürdig fand ich, dass zwischen den Reihen der Zuschauer ein Kameramann herum lief. Er filmte nicht nach vorne in Richtung auf das Podium, sondern er filmte die Gesichter der Menschen die zusahen.

Der Träger stellte sich also vor. Die bei einer Firmenübernahme üblichen Aussagen zu Umsatzrendite, Kapitalertrag, Kosten senken, wir sind alle eine Familie und für unsere Bewohner da, dieser ganze Schwachsinn. Und dann kam‘s.

Er stellte den neuen Personalchef vor, den neuen Chef für Firmenkommunikation, die neuen Geschäftsführer für „dies“ und den neuen Geschäftsführer für „das“. Der neue Geschäftsführer für das operative Management, würde erst nächsten Monat beginnen und könne an der Tagung leider nicht teilnehmen.

Schock schwere Not…

Diese ganzen Posten waren doch schon besetzt und diese „alten" Geschäftsführer für „dies und das“ saßen vorne in der ersten Reihe und schauten aufs Podium. Ich weiß nicht ob diese Menschen vorher schon gewusst hatten, dass ihr Job weg war, aber zumindest für die 100 Menschen die da zuschauten, war das schockierend.

Unser „Noch-Geschäftsführer“ hatte wohl nicht geplant, dass das so kommuniziert wurde, denn er nahm sich das Mikrofon und versuchte die ganze Sache etwas abzuschwächen und dem Ganzen die Brisanz zu nehmen. Aber das hatte der neue Besitzer so nicht geplant.

Was dann da vorne passierte mutete ganz merkwürdig an. 100 Menschen schauen sich voller Entsetzen an, wie zwei testosteronschwangere Männer ihr Revier absteckten. Wem dabei die Sympathien zuflogen, war klar. Unserem alten Geschäftsführer.

Firmenuebernahme


Für mich sah das wie ein Kampf zwischen zwei Rudel Straßenhunden aus. Das eine Rudel um den neuen Investor, welcher mich an einen Dalmatiner erinnerte, bestand aus Dobermännern. Mein Noch-Geschäftsführer sah vor meinem geistigen Auge, wie eine niedliche französische Bulldogge aus und sein Rudel, bestehend aus lauter Promenadenmischungen, machte angeleint brav „Sitz“.

Ich habe mich in diese Situation regelrecht fremdgeschämt. Ich hatte mir in diesem Moment wie schon damals Anno 2003 gewünscht... bitte, bitte singt doch alle zusammen: „Geht doch nach Hause du alte Sch... geh doch zu Hause...“.

Ich glaube dem bisherigen Geschäftsführer gehörten auch irgendwie 8 % von der Firma. Aber jeder kann sich denken wer gewinnt, wenn ein Alphamännchen mit 92 % auf ein Alphamännchen mit 8 % trifft. Zwei Alphamännchen sind auf jeden Fall immer eins zu viel.

Am Ende dieser Tagung wurden wir alle verabschiedet und der neue Investor sagte uns, dass draußen im Foyer noch auf jeden ein Geschenk-Karton warten würde.

Im Foyer war dann eine Pyramide mit 100 Kartons in den jeweils 6 Sektgläser verpackt waren, aufgestapelt. Ums Verrecken hätte ich da keinen Karton mitgenommen. Plötzlich merkte ich am eigenen Leib, wie sich eine Veränderungskrise bei Mitarbeiter anfühlt.

Ein Jahr später kannte ich nur noch fünf der ehemaligen 40 Heimleiterkollegen. Alles andere waren neue Gesichter.

Gehen Pflegekapitalisten über Leichen?

Ja, aber die machen dabei die Augen zu. Wenn ich in eine Kriseneinrichtung komme, weiß ich über die Situation Bescheid, denn die ist immer gleich. Investoren schaffen nicht die Voraussetzungen und wechselnde oder schlechte Einrichtungsleitungen führen zum Strukturverlust in den Einrichtungen.

Dieser Strukturverlust führt zum Dienstplandesaster, Mitarbeiterunzufriedenheit, hohem Krankenstand. Das wiederum führt zur Vernachlässigung der Bewohner. BMIs von 18, Dekubiti, usw.

Der Pflegekapitalist sieht den Kapitalertrag und wenn der nicht sofort generiert wird, befindet er seine Geschäftsführer für unfähig. Die finden dann ihre Regionalleiter unfähig und die hacken auf den Einrichtungsleitern rum. Und alle werdenden willkürlich gefeuert und wechseln wie die Fliegen.

Der Pflegekapitalist als Mensch schützt sich und sein Gewissen in dem er sagt, wenn es nicht läuft, liegt es am schlechten Mitarbeiter. Manchmal wünsche ich mir ein Gesetz, dass Pflegekapitalisten zwingt, ihre Nase in den Dekubitus einer frisch verstorbenen Bewohnerin zu drücken. Damit sie endlich den Zusammenhang zwischen „keine Voraussetzungen schaffen“ und diesem Ergebnis verstehen.

Bin ich naiv, wenn ich sage: „Mensch sein muss doch was bedeuten“?

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